Die Vorsilbe "BIO" zeigt erst einmal an, dass wir uns aus dem Bereich der Physik in den Bereich der Biologie begeben und uns lebenden Organismen zuwenden. Uns stehen dafür 2 Grundmodelle der Körperorganisation zur Verfügung. Dem biotensegralen Model, welches ohne jegliche Art von Hebeln auskommt und dem Model der klassischen Mechanik, in welchem die bereits angesprochenen Hebelgesetze und Kraftübertragungen zur Anwendung kommen. Das 2. Model ist das vorherrschende Betrachtungssystem in der Biomechanik.
Bevor wir den aktuellen Stand der Wissenschaft anschauen, lasst uns einfach 2 Modellpferde bauen.
Wir beginnen damit, die Einzelknochen des Pferdes gelenkig zusammenzuschrauben. Ein paar Bänder an den Gelenke helfen, diese weiter zu fixieren. Schon haben wir ein Skelett, welches sich aber leider noch nicht bewegt. Im nächsten Schritt befestigen wir die gefühlten 200 Einzelmuskeln an den vorgesehenen Ursprüngen und Ansätzen an den Knochen. Ist alles fertig, so können wir über Zug an den Muskeln den Körper bewegen. Und wir besitzen Hebel! Wir können nun das Hinterbein weit untertreten lassen, damit wir über den Drehpunkt des Beckens die Vorhand leicht machen. Auch können wir den Hals senken lassen, damit sich der Rücken anhebt, das Bein mit dem Schulterblatt muss dabei als Drehpunkt dienen, sonst kommt der Rücken nicht. Wir sehen, die Muskeln dienen der Bewegung, die Knochen der Druckübertragung.
Auf der anderen Seite leiten sich die Kräfte belastend durch die Gelenke und wir alle wissen: Über Hebel lassen sich extreme Kräfte kreieren, welche besonders die Knotenpunkte belasten.
Während der Zusammenbau des ersten Pferdes in erster Linie Fleiß war, werdet ihr nun den Horror erleben. Wir haben keine Einzelmuskeln mehr, sondern einen Riesenhaufen von einer Art Seilnetz, welches eine dreidimensionale Form eines Pferdes hat- wäre es denn aufgespannt.
Nun müssen wir jeden Knochen in dieses Netz so einfügen, dass das Netz in Vorspannung kommt und keine der Knochen sich berühren. Nach ca. 2 Jahren Frust und 500 helfenden Händen steht unser Pferd, Glückwunsch.
Die Funktionen unterscheiden sich. Das Pferd kommt ohne Hebel aus. Einwirkende Kräfte werden abgefangen und verteilen sich über das tensegrale System in den gesamten Körper hinein. Die Belastung für das einzelne Gelenk sinkt deutlich. Die einwirkende Kraft wird im Körper gespeichert wie bei einem Flummi und kann für die Bewegung mit bis zu 90% Effizienz wiederverwendet werden. Muskeln arbeiten nicht einzeln, sondern in ganzen Verbünden.
Sehr lange Zeit haben Wissenschaftler in der Biomechanik mit dem Hebelsystem gearbeitet. Daher kommt auch die Tendenz, Biomechanik und Hebelsysteme gleichzusetzen, obwohl dies aus Sicht der Mechanik etwas ungenau ist. Es gab nur ein Problem: Nach den Berechnungen der Hebelmechanik sind viele Dinge nicht möglich, obwohl lebendige Organismen das Gegenteil beweisen.
Eine Ballerina dürfte nicht auf der Zehenspitze stehen können, das australische Riesenkänguru dürfte nicht so weit springen können und der Brontosaurus hätte sich mit seinem Körperbau gar nicht normal halten können (außer er schleift den langen Hals nur über den Boden). Die Natur hat deutlich gezeigt, dass Lebewesen und Hebelsysteme sich bei Landtieren nicht vertragen. Im tensegralen System hingegen funktioniert es. Stand der Wissenschaft ist es, dass das tensegrale System deutlich besser dafür geeignet ist, um die Organisation, Haltung und Bewegung im lebenden Körper zu erklären.
Mittlerweile gibt es auch Aufnahmen aus dem menschlichen Knie, in welchen zu sehen ist, dass sich die Gelenkflächen bei Druckbelastungen voneinander entfernen und nicht gestaucht werden. Ein weiterer Hinweis auf das tensegrale System.
Es steht jedoch auch fest, dass das tensegrale Modell die Realität nicht perfekt widerspiegelt. Es fehlt zum Beispiel der Einfluss des körpereigenen Wassers, welches im geschlossenem System Körper ebenfalls bestimmte Eigenschaften hat. Die Fluidmechanik fehlt in der Gleichung. Ebenso steht nicht fest, dass alle Gelenke ohne direkte Kraftübertragung zwischen den Knochen auskommen. Das ISG könnte eine Ausnahme bilden, da es für eine Druckübertragung ausgelegt ist und eine messbare leichte Bewegung lediglich in bestimmten Phasen des Galopps messbar ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Körper ein Hybridsystem ist, in welchen tensegrale und fluide Mechanismen vorherrschen, die allerdings noch weitestgehend unerforscht sind (der fluide Anteil). Beiden Systemen ist jedoch gemeinsam, dass sie ohne Hebel auskommen.