Osteopathie


Der Begriff des Systemischen


Bewirken oder Ermöglichen?

Man stelle sich einen Automaten für Heißgetränke vor. Man wirft Geld hinein, drückt je nach Geschmack auf eine bestimmte Taste, und wenige Minuten später erhält man sein gewünschtes Ergebnis. Der Automat besitzt eine feste Systematik, man spricht auch von einer trivialen Maschine.

Leider werden Lebewesen im Allgemeinen, und Pferde in unserem besonderen Fall, allzu oft auf diese Weise betrachtet. Man verfällt dem Irrglauben, es seien triviale Systeme, die immer auf die Weise X reagieren müssen, wenn wir Handlung Y durchführen. Und wenn etwas nicht funktioniert wie es soll, wird es gezielt repariert. Der Tierarzt oder Pferdetherapeut wird geholt.

Der lebende Organismus funktioniert jedoch anders. Das lebende System ist ein sogenanntes geschlossenes, selbstreferenzielles System, also ein System, das wir nicht gezielt verändern können, und welches sich bei seinen Funktionsweisen nur auf sich selbst bezieht, selbstreferenziell eben.
Um dieses System zu verstehen, stelle man sich abermals einen Getränkeautomat vor, bei dem man sein Getränk jedoch nicht wählen kann, sondern das System, also der Automat, entscheidet, welches Getränk herausgegeben wird. Und um es noch komplizierter zu machen, wird die Entscheidung des Systems ständig davon verändert, welches Getränk beim Mal davor herausgegeben wurde. Es entsteht ein nicht zu kontrollierendes System, ein sogenanntes nicht-triviales oder auch selbstreferenzielles System. Dieses System ist nicht gezielt zu steuern ohne es zu beschädigen, sondern kann lediglich beeinflusst werden. Welches Ergebnis die Beeinflussung am Ende haben wird, entscheidet allein das System, denn es bezieht sich nur auf sich selbst, es arbeitet systemisch. Ähnlich kann man sich ein Lebewesen vorstellen. Die Reaktion des Organismus ist von außen nicht steuerbar, nur die Erfahrung, also das Beobachten bzw. die Empirik, um es wissenschaftlich auszudrücken, kann uns Hinweise geben, wie das System auf welche Art regiert.

 

Die klassische Schulmedizin arbeitet vereinfacht gesagt auf diese Art und Weise. Dabei geht sie jedoch nicht systemisch, sondern meist systematisch vor. Der Körper wird in Einzelteile zerlegt und in Fachbereiche unterteilt. Je nach Symptom geht man dann zum Zahnarzt oder zum HNO-Arzt. Reagiert ein System nicht wie gewohnt, wird von außen mit einem Mittel eingegriffen, welches nach wissenschaftlicher Erfahrung das System wieder in von uns gewünschte Bahnen lenkt. Leichte Beschädigungen müssen dabei hingenommen werden, diese nennt man dann Nebenwirkungen. Diese sehr erfolgreiche Art der Betrachtung des lebenden Organismus hat zu dem medizinischen Standard geführt, von dem wir heute profitieren.

 

Doch eben bei diesem Versuch, einen systemischen Organismus rein systematisch zu betrachten, gerät auch die Wissenschaft immer wieder an ihre Grenzen, sei es im Verständnis des menschlichen Bewusstseins, in der Krebsforschung oder sogar bei der Lahmheitsdiagnostik bei Pferden. Die Mathematik hat gezeigt, wie schwierig, wenn nicht sogar unmöglich es ist, genaue Vorhersagen zu treffen, wenn verschiedene Strukturen in Wechselwirkung zu einander stehen (Dreikörperproblem). Wenn man sich nun noch vorstellt, dass wir es mit nicht-trivialen Systemen zu tun haben, die stets anders reagieren, sehen wir das Ausmaß an Unsicherheit, mit dem man als Therapeut zu kämpfen hat.

Die komplizierte Biomechanik eines lebenden Organismus sorgt nicht selten dafür, dass Lahmheiten an Strukturen behandelt werden, deren Auslöser jedoch woanders zu finden sind. Somit ist auch eine gezielt systematische Osteopathie, wie sie mittlerweile allerorts gelehrt wird, ein Widerspruch in sich, ein Widerspruch, der in dem Versuch, stärkere Anerkennung in der Schulmedizin zu erhalten, begründet liegt. Denn Osteopathie arbeitet eben nicht systematisch, sondern systemisch. Ein gezieltes "abarbeiten" einzelner Strukturen ist wenig sinnvoll und führt nur durch Zufall zu gewünschten Ergebnissen.

 

Die systemische Pferdeosteopathie arbeitet anders, sie arbeitet eben systemisch, Ganzheitlich, sie berücksichtigt jene Unvorhersehbarkeit des lebenden Organismus. Es ist immer der Körper des Pferdes, der die Regulation vornimmt und auch darüber "entscheidet", was Gehen oder Bleiben soll. Wir können nur den Anstoß geben ->  das System in Fluss bringen. Heilen kann sich nur der Körper selbst, oder um es in Abgrenzung zur Schulmedizin auszudrücken:

Osteopathie arbeitet immer nur nach einem Ermöglichungsprinzip, nie nach dem Bewirkungsprinzip!