Einige von euch werden sich vielleicht über die Grundaussage der systemischen Pferdeosteopathie wundern. Ganzheitlicher Ansatz und Eigenregulation? Ist es nicht normal, was dort geschrieben steht? Muss es dafür einen neuen Begriff geben?
Ihr habt an sich Recht. Der ganzheitliche Ansatz sowie die Eigenregulation sind Grundelemente der Osteopathie. Allerdings wird unserer Auffassung nach dieser "Grundgedanke" nicht überall entsprechend vermittelt. Teils drängt sich der Vergleich zu einem Automechaniker auf, der sich zuerst im Protokollieren von Einzelbefunden verliert, um diese danach abzuarbeiten. Und genau damit kehrt sich der Sinn der Osteopathie um, vom Ganzheitlichen zum Einzelteil, vom Sytemischen zur Systematik.
(Mehr dazu findet ihr -> HIER)
Will man Pferdeosteopathen ausbilden, so gibt es einige höchst interessante Fragen. Welche Möglichkeit hat man als Therapeut, noch gezielter den Ablauf der Eigenregulation "triggern" zu
können. Um eine solche Strategie zu entwickeln, muss man ebenso eine Vorstellung haben, über welche Mechanismen dies eigentlich abläuft. Dies ist die zweite Frage, die es zu
beantworten gilt.
Unser Ansatz basiert auf der erweiterten Funktionstheorie des autonomen Nervensystems, der Polyvagaltheorie, die Stephen Porges 1994 erstmalig vorstellte. Sie erklärt weit besser
bestimmte körperliche als auch psychische Zustände als die "veraltete" Annahme, dass das autonome Nervensystem lediglich 2 Funktionskreise (Sympathikus -> Aktivität (Flucht oder Kampf) und
Parasymathikus (Entspannung) aufweist. Diese veraltete Theorie ist im Pferdebereich vielerorts noch immer Standard, und auch wir wurden danach unterrichtet. Mit Hilfe dieser erweiterten
Theorie lassen sich Dinge erklären, für die es bis jetzt - aus unserer Sicht - keine hinreichenden Gründe auf wissenschaftlicher Basis gab. Die sehr gut die Wirksamkeit der
craniosakralen und viszeralen Osteopathie beim Pferd ist hier als Beispiel zu nennen. Auch die Bowen-Methode scheint genau diese Effekte sehr gut zu nutzen. Ebenso sind
die Veränderungen im Verhalten des Pferdes, welche man nach Behandlungen oft erlebt, klar einzuordnen.
Um es an dieser Stelle nur kurz anzureißen: das autonome Nervensystem benötigt einen gewissen Zustand, dass sich Muskeln und Faszien überhaupt entspannen können. Für einen Behandlungserfolg und die nachfolgende Regulation sollte der Therapeut dies berücksichtigen und anfangs "übergeordnet" arbeiten und eben nicht nach reinen Einzelbefunden.
Dieser Zustand hat darüber hinaus auch seine Auswirkungen auf alle Organe, wodurch auch erklärt werden kann, warum die viszerale Osteopathie beim Pferd funktionieren kann, allerdings auf einer anderen Ebene bzw. über eine etwas geänderte Behandlungsstrategie.
In der systemischen Pferdeosteopathie arbeiten wir also an bestimmten Strukturen, über die man einen gewissen Einfluss auf dieses System ausüben kann, unabhängig von der "eigentlichen" Problematik des Pferdes. Um es bildlich darzustellen: Wenn die Jeans wirklich verschmutzt ist, macht ein Vollwaschgang mehr Sinn als einzelne Fleckenentfernung.
Dieser Ansatz ist ganzheitlich im Sinne der Osteopathie. Er ist nicht nur interessant für Muskeln und Faszien, auch organische Probleme und vor allem auch Verhaltensauffälligkeiten können damit
reguliert werden. Nicht umsonst arbeiten sehr viele Trauma-Therapeuten nach den Grundsätzen der Polyvagaltheorie.
Der Therapeut ist dabei nicht die Person, welche das Pferd "repariert". Es ist immer der Körper des Pferdes, der die Regulation vornimmt und auch darüber "entscheidet", was Gehen oder
Bleiben soll. Wir können nur den Anstoß geben -> das System in Fluss bringen. Heilen kann sich nur der Körper selbst.
Wir möchten mit der Nutzung des Begriffs "systemisch" klar zum Ausruck bringen, dass wir keine
Therapeuten ausbilden wollen, die lediglich gut darin sind, nach Checkliste zu befunden und diese dann abzuarbeiten. Auch stützen wir uns auf wissenschaftliche Tatsachen bzw. Thesen, die dem
aktuellem Stand der Forschung entsprechen und auf breiter Basis anerkannt sind. Wir denken uns keine "Kunstbegriffe" aus, die zwar gut für die Vermarktung sind, aber auch implizieren, das
man etwas "nie dagewesenes" kreiert hätte. Wir nutzen "klassische" osteopatische und manualtherapeutische Techniken.
Die Unterschiede liegen in der Denkweise und somit auch in der Herangehensweise der Befundung und Behandlungsstrategie.